Text für das Faltblatt "Alfonso Hüppi" Ravensburg 1999


Das ist doch Zufall! Ja, aber mit Absicht.
Alfonso Hüppi

In unserem Alltag ist das individuelle Leben mit der bildenden Kunst sehr zurückgedrängt. Kunstwerke sind nicht einfach zugegen; sie werden uns heute medial mit Bildschirmen, Zeitschriften und wichtigen Ausstellungen zur Kenntnis gebracht.
Schaltet man das Gerät ab und verläßt die zum Medium gewordene Ausstellung, ist die Kunst für dieses Mal vorbei. Ortlose Bilder liegen dann in der Erinnerung, mit wenig Kraft unseren Alltag zu organisieren, aber wertvoll zu belegen, wie unterrichtet wir vom Tage sind.
Und wir wissen, was die Leute anderswo und ganz anderswo machen. Auch die sehen, was wir tun, und so machen alle so ziemlich dasselbe überall. Keiner will hier sein und keiner will dort sein.
Wenn ein Kunstfreund (oder eine Stadt wie Ravensburg) ein Werk kauft, dann entzieht er es der medialen Betrachtung und gibt es da, wo er es aufstellt einer unmittelbaren, tagtäglichen Sichtbarkeit preis. Das Werk muß und darf nun altern, und die Betrachter dürfen zuschauen dabei und sehen, ob es das aushält und was passiert.
Bald sieht man das Bild über der Kommode zuhause vor Gewöhnung nicht mehr, und wie bei Alfonso Hüppis Bild im Ravensburger Spohn-Gymnasium steigen hübsche Mädchen die Treppe davor herunter, laute Jungs hinauf und angestrengt blickende Lehrer daran vorbei, und keiner sieht, welchen Filz der Staub in die Bilderrahmensprossen gelegt hat.
So etwas wie dieses Faltblatt hebt das Kunstwerk aus der Wirklichkeit heraus und macht es zu einem abstrakten Stück Kunstgeschichte, das erklärt und eingeordnet werden kann. Aber erlebt wird das Bild nur noch als Postkarte, als etwas, das man in die Mappe und zuletzt ins Bücherregal stecken kann.
Doch es gibt regelmäßig und selten den Passanten, der stehenbleibt und etwas sieht, weil ihm gerade die Augen aufgegangen sind. Darauf muß die Kunst zählen.
Alfonso Hüppis Bild von 1968 hängt im Treppenhaus des Ravensburger Spohn-Gymnasiums im vorletzten Stock. Das ist kein Platz, der für ein Bild vorgesehen ist. Teils hängt es auf der gestrichenen Wand, teils vor dem gekachelten Sockel und es muss mit Abstandhaltern die vorstehenden Profile überbrücken. Von vorne bekommt es nur Licht von einer trüben Schulflurbeleuchtung, von rechts-oben fällt aber frisches Tageslicht darauf.
Da das Werk sehr weiß ist, und dadurch fast fremd in dem dunkeltonigen Flur steckt, es zugleich aber das an dieser Stelle fast nicht mehr wahrgenommene Tageslicht aufscheinen läßt, zeigt es einen Weg aus der Schule durch die Fenster nach draußen zum hellen Himmel, der sich als Spielplatz für Träume über alles spannt.
So wie das Fenster den Blick zum Himmel durch viele Sprossen freigibt, so ist Alfonso Hüppis Bilderrahmen in sechzehn Felder geteilt. In jedem sieht man durch eine Glasscheibe hindurch einen Siebdruck, in zwei Fällen zusätzlich von Hand übermalt.
Die Scheiben trennen uns Betrachter vom Bild und ziehen uns und den Raum gleichzeitig als Spiegelung in das Bild hinein. Die Reflexion ist nicht sechzehnfach; sie zeigt einen Besucher im Spiegelraum, durch Rahmensprossen gegliedert und von sechzehn Bildern, die wie Sätze ein einziges Musikstück bilden, hinterfangen. Der sechzehnteilige Rhythmus verstärkt sich, indem das gedruckte Bild durch einen breiten weißen Rand auf dem Papierbogen isoliert wird. Damit schließt sich das viele Weiß wieder zu einer zusammenhängenden Fläche und unterstützt die Kohärenz des ganzen Werks.
Farbig sind die Bilder aus Weiß, Hellblau und Rosa, nebst grauen Umrißlinien, aufgebaut. Das Weiß ist leuchtender als der Blattgrund; Hellblau und Rosa sind nicht bleich, sondern Steigerungen von Blau und Rot zum hellen Licht hin. Nicht eine auflösende, verklärende Helligkeit, jedoch eine Erhellung durch ein vom Bild hervorgerufenes mediterranes Licht, in dem alles greifbarer, sichtbarer und mehr an seine Oberfläche gebracht wird.
Oberfläche, von der Alfonso Hüppi gerne spricht, meint bei ihm das Platz haben und unmittelbar sein, die Möglichkeit zu agieren. Zuletzt die Fläche einer Wand, die Weite eines Raumes und nicht die Tiefe, die die Geborgenheit zwischen Buchdeckeln braucht. (Obwohl Hüppi die Belesenheit schätzt.)
Da ist es nicht verwunderlich, daß Hüppi etliche ungewöhnliche Lösungen in Gebäuden gelungen sind, so im Bundeswehrkrankenhaus in Ulm, wo neben figürlichen Skulpturen eine Bilderwand aus 240 Blättern das Prinzip der hier besprochenen Ravensburger Arbeit ins monumentale, aber nach wie vor lesbare steigert.
Was zeigen die sechzehn Blätter? Vor einem einfarbigen Hintergrund steht jeweils eine Figur, meist auf einer Basis. Sie ist aus planen Farbflächen zusammengesetzt und von dunklen Linien umzeichnet. Manchmal sieht die Gestalt wie ein Baum aus, oder wie ein Zellenhaufen oder eine Form erotischer Provenienz, ohne daß man sie genau benennen könnte. Es ist eine präzise Ungenauigkeit, die uns fast den Namen der Gestalt sagen läßt. Wir sprechen diesen dann doch nicht aus, weil wir merken, daß Hüppi gar kein Bekenntnis will. Es genügt ihm, uns auf die Sprünge zu helfen.
Alfonso Hüppi führt die Oberfläche der Wirklichkeit und die Oberfläche der imaginierten Welt ganz dicht aneinander heran, ohne sie jemals zu verwechseln. Daraus resultiert die Schlagfertigkeit und Schlagkraft von Alfonso Hüppis Kunst.
Der Position im Kunstbetrieb, die sich durch wichtige Ausstellungen und die Düsseldorfer Professur dokumentiert, setzt Alfonso Hüppi die Freiheit des Ausweichens in eigensinnige Freuden und fremde Gegenden entgegen.
In Namibia gründet er 1999 auf der Farm eines Freundes ein "Museum im Busch", weitab von allen urbanen Umtrieben. Dort entstehen von wechselnden Künstlern Werke, die ganz für sich stehen müssen, jedenfalls so bald keiner Kunstszene ausgesetzt sind.
Das hier wiedergegebene, neue Bild mit Oval und Kreisen, die wie ein Gesicht schauen, hängt dort in Afrika. Auch dieses ist eine viergeteilte Einheit und wiederum spiegelt sich unser Blick im Glas und in der Malerei.
Schwarzweiß schaut das Bild aus der Ferne hierher.