Rede zur Ausstellung Sigrid Kopfermann Das Frühwerk
am 19. März 2023 in der Kopfermann-Fuhrmann-Stiftung, Düsseldorf
Wir sehen hier in der Ausstellung Bilder von Sigrid Kopfermann aus der Zeit von 1942 bis 1962 - also das Frühwerk.
Es handelt sich ausschließlich um Malerei auf Leinwand, nicht und nie um irgendwie „neue“, experimentelle Bildformen.
Also keine Collagen, keine ungewöhnlich geformten Leinwände, auch kein extrem pastoser oder materieller Farbauftrag, oder isolierte Farbinseln auf einer sonst leeren Leinwand.
Das hat, nach meiner Meinung, einen tief liegenden, und Sigrid Kopfermanns Werk in ein für mich neues, positives Licht stellenden Grund.
Dieser Grund wurde mir erst bei der Besichtigung und der Beschäftigung mit dem Frühwerk erkennbar.
Vergleicht man die Kataloge der Dokumenta 2 von 1959 und der Dokumenta 3 von 1964, also von Ausstellungen aus dem Zeitraum, der auch für die hier gezeigten Bilder relevant ist, sieht man, dass
die Dokumenta 2 fast nur Werke präsentierte, die wie Kopfermanns Malerei auch, eine Neigung zu überschaubaren Formaten und vertrauten Techniken hat.
Hinzu kommt eine Rückbindung an die abbildende Fähigkeit der Kunst, selbst in vielen abstrakten Werken, die nicht autonom, sonder als Abstraktion von Etwas erscheinen.
Die Dokumenta 3 hingegen zeigte viele Werke, die autonom werden wollen, also entweder rein visuelle Phänomene vorzeigen, oder auf sich selber bezogene Strukturen darstellen, oder aber die Wirklichkeit selber wie auf einer Schautafel ins Bild einbeziehen, wie zum Beispiel bei Rauschenberg. Letztlich beginnt das Ready-Made in seinen ganzen Ausformungen das gestaltete Bild zu dominieren.
Künstler wie Werner Gilles, Werner Heldt, aber auch Bruno Goller, also Künstler die die poetisch-mythische Darstellbarkeit der sichtbaren Welt untersuchen, sind aus der dritten Dokumenta verschwunden.
Karl Hofer ist nur bei der ersten Dokumenta dabei (und dann bei der vierzehnten!).
All diesen Künstlern ist gemeinsam, dass ihre Bildmotive ein wenig wie Bühnenbilder oder Theaterszenen wirken.
Dies ist wohl der Preis dafür, wenn man der Autonomisierung der Kunst, oder deren Verwandlung in ein Instrument des politischen Kommentars nicht folgen will.
Sigrid Kopfermanns in dieser Ausstellung gezeigte Bilder „Felsen und Meer“ 1954, „Arabischer Markt“ 1952, „Afrika“ 1954, „Ibiza“ 1954 und „Südliche Landschaft“ 1954 gehören in die Vorstellungswelt der eben erwähnten Maler, und sind damit ein Bekenntnis zu einer Kunst, die durch ihre bildnerischen Mittel weiterhin eine Sichtbarkeit im und durch das Bild gewährleisten will.
Allerdings verschwinden handelnde Menschen aus diesen Bildern, was ein erster Schritt wäre, um eine autonome, auf sich selbst bezogene Kunst zu entwickeln.
Und so könnte man das ganze folgende Werk Kopfermanns als einen zögerlichen Weg zur Autonomisierung sehen; man könnte auch eine Radikalisierung einzelner Aspekte des Bildes hineindeuten.
Dies trifft aber nicht zu.
Welche Mittel stehen einer Maler*in bereit, um ein Gemälde zu gestalten?
Es sind der Malgrund mit seiner materiellen Beschaffenheit,
die Farbe als Farbton,
die Farbe als Material,
die damit erzeugte Textur und Faktur des Bildes,
der Rhythmus,
die Gestik,
der Bildraum jenseits der Bildfläche
und das gegenständliche Motiv.
In der Malerei ab ca. 1950 werden der Bildraum und vor allem die Gegenständlichkeit verabschiedet, die anderen Parameter dagegen stark hervorgehoben.
Sigrid Kopfermann widersetzt sich dem nicht, denn allzu leicht droht hier eine Haltung, die aus der Zeit fällt, reaktiv das Vergangene verlängert.
Gleichwohl bleibt in ihren Bildern bis zuletzt ein Potential, eine Ahnung des Gegenständlichen erhalten. Deshalb sind die Farbflecken und Gesten nie nur ein Bezugssystem untereinander, sondern sie sind immer wie ein Echo oder die Ahnung eines abzubildenden Gegenstands, auf den sie sich beziehen.
Bei fast allen Bildern liegt einem sozusagen das Wort das den Bild-Gegenstand beschreibt auf der Zunge, aber es kommt nicht hervor, lässt sich nicht aussprechen.
Vor diesem Hintergrund spielt Sigrid Kopfermann die anderen verfügbaren Parameter in unterschiedlicher Gewichtung aus:
mal schieben sich die Textur und der Rhythmus in den Vordergrund (wie in „Tropfen“ von 1960),
mal dominieren die Farbtöne rhythmisch aufeinander bezogen (wie in den „Blockbildern“).
Kopfermann experimentiert auch mit dem Farbmaterial und seinen Eigenschaften.
In den „Tropfen“ sieht man scharf definierte Pinselstriche, während in „Felsen und Meer“ Flecken aus zergehendem öligen Farbbrei nebeneinanderstehen.
Dies wird dann im Spätwerk zu einem zentralen Mittel der Bildfindung.
Gleichwohl bleibt es dabei: jedes verwendete gestalterische Element wird in einen Bezug zu den anderen Elementen gesetzt, was nicht heißt, dass Sigrid Kopfermann, vor allem in ihrem späten Werk, den Bildzusammenhang auch strapazieren kann, durch Leerstellen, durch enorme Verdichtungen bis zum Farbsumpf, durch eine Gestik und Faktur, die an „ausgestrichene“ Farbreste aus dem Pinsel erinnern.
Letztlich ist sich Sigrid Kopfermann ihrer Vorstellung, was ein Bild für sie ist und sein soll sehr sicher. Dieses Bild lässt sich gültig, sprich „zeitgenössisch“ aber nur mit aktuellen, und durchaus kritisch zu betrachtenden Bildmitteln darstellen.
Bleibt für die Malerin die Frage, inwieweit sie „mittun“ kann, ohne „mitzumachen“.
Aber, und das ist ganz bezeichnend für die Kunst Sigrid Kopfermanns, gerade in diesen späten Bildern wächst auch die Anmutung des Gegenständlichen, des Versuchs der Integration des Bildes durch eine bildräumliche Anschaulichkeit.
Mit und in den hier in der Ausstellung gezeigten Werken sehen wir den Aufbruch der Malerin in eine eigene Bildform, die das integrale Bild nicht vorsätzlich zerbrechen will, aber auch die je aktuellen Erscheinungsformen der zeitgenössischen Malerei verstehend aufgreift, um sie als Maske der eigenen Absichten zu benutzen.
Nicht „zurück zu“, nicht „vorwärts zu“ sind Sigrid Kopfermanns Antrieb, sonder „hier und jetzt bin ich“.
Vielleicht auch „wo bin ich?“.