Rede zur Eröffnung der Bewerbungsausstellung des August-Macke-Förderpreises am 11. Mai 2025 in der Alten Mühle in Schmallenberg

Ich möchte zuerst einige Worte zur Kunst August Mackes sagen.
Denn er ist der Namensgeber dieses Förderpreises
– und auch wenn die Ausstellenden sich keinesfalls an August Macke gebunden fühlen sollen, so trägt der/die Preisträger*in seinen Namen doch in der Biografie weiter.
Vergangene Woche habe ich mir in Wuppertal im Museum zwei Bilder von Macke wieder einmal angesehen.
Er malt seine Menschen häufig ohne Gesicht,
gliedert die Gesichter als Farbflächen in das Mosaik der farbigen Formen des ganzen Bildes ein.
Die einzelnen Formen innerhalb des Bildes zeigen fast immer eine einzige, klar bestimmte Farbe, die nur zwischen Hell und Dunkel moduliert wird.
Vor allem sind die Farbformen so autonom, dass sie den durch sie abgebildeten Gegenstand kaum erkennen lassen.
Wiedererkennbare Gestalten entstehen durch Linienpfade, die durch das Bild ziehen und Landschaft, Häuser, Gegenstände und Körper erkennbar machen.
Bei so einem Vorgehen stören Gesichter mit ihrer Physiognomie.
Nun hatte die Frau auf dem Bild Mädchen mit Fischglas von 1914 ursprünglich ein Gesicht, das Macke aber zugemalt hat.
Im Lauf der vergangenen 100 Jahre ist die Gestalt des Gesichts aber wieder durch die Übermalung diffundiert und erneut sichtbar geworden.
Man kann sagen: Das Gemälde wehrt sich gegen die Absichten seines Malers.
Ich habe nun vor, die einzelnen, sozusagen abstrakten Elemente von Mackes Bild wie ein Panorama der vielfältigen und unterschiedlichen Möglichkeiten der modernen Kunst aufzufassen.

• Alle zehn Aussteller*innen greifen quasi eine dieser durch die Moderne bereitgestellten Möglichkeiten auf und entwickeln sie für sich in der Gegenwart weiter.
Ich will nun in den unterschiedlichen Möglichkeiten der hier gezeigten Werke wieder die Gesichter der Künstler*innen auftauchen lassen,
ihre Individualität erkennbar machen
und so die beginnende Emanzipation der einzelnen Positionen aus dem allgemein Anerkannten zu je ganz eigenen Blicken auf die Welt skizzieren.
Also haben Sie bitte noch etwas Geduld;
ich gehe alphabetisch alle Künstler*innen durch und versuche, ihnen ein grob umrissenes Gesicht zu geben:
Fanny Benjes
ist fasziniert von Dingen, die uns normalerweise eher abschrecken:
Kästchenpapier, geometrische, auf Wiederholung basierende Fassaden moderner Architektur, viele aufgereihte Kronkorken …
In dem, was Langeweile verspricht, entdeckt Benjes die Unstimmigkeiten im angewandten System,
die Unterschiede, die durch die Herstellung erzeugt werden,
also die „Subtexte“, die beispielsweise durch das Schwächerwerden eines Filzstiftstrichs aufscheinen, oder Zufallsspuren auf der Strasse, die durch Fotografieren und Umdrucken auf Papier zu scheinbar echten Spuren werden.
In ihrer Kunst werden wir also nicht von einer überlegenen Ordnung verschlungen,
sondern aus dieser Ordnung sickert überall das Individuelle, das Besondere und das rational kaum Fassbare heraus.
Chiara Hofmann
malt oft Szenen aus einer vergangenen Zeit, die sie so selbst nicht mehr erlebt hat, die aber immer noch in Fragmenten in unserer Gegenwart aufscheinen.
Gemüse und Früchte werden in eine Ordnung gebracht, nebeneinandergelegt oder aufgeschichtet. Ein Apfel wird sorgfältig in eine lange, nicht abbrechende Schalenspirale geschält.
Es ist fast so, als schiebe Chiara Hofmann Erscheinungen und Formen der zeitgenössischen Skulptur zurück in ihre Bilder, um ihnen wieder das Aussehen zu geben, welches sie in unserem Alltag hatten oder manchmal noch haben.
Mir war manchmal, als schaute ich in Hofmanns Bildern einer stillstehenden Performance zu, oder als sähe ich auf die Relikte von einer solchen.
Darius Konrad
benutzt in den hier gezeigten Bildern Türkisblau und Magenta – also Farben, die in unserer anschaulichen Wirklichkeit kaum vorkommen.
Dennoch malt er gegenständliche Bilder, die aber wie psychedelische Visionen anmuten.
Dass da etwas Erkennbares sichtbar wird, ist die eine Seite;
dass das Erkennbare in einer Farbe auftritt, die wie durch das Stroboskoplicht eines Clubs erzeugt wirkt, ist die andere Seite.
Und diese andere Seite wird in traumhaften Formen und Symbolen, in „Pflanzlichem“ und Informellem sichtbar.
Kurz: Eine vertraute Welt trifft hier auf eine unvertraute Welt. Wir wissen aber nicht, welche der beiden dominiert – und uns Betrachter*innen Ruhe oder Unruhe bescheren wird.
Emmélie Lempert
zeigt uns seltsam geschneiderte Kleidung zwischen Glasplatten eingeschlossen, also etwas an sich räumliches als flaches Bild.
Aber auch wenn diese Bilder an der Wand hängen, haben sie sichtbar eine Rückseite – sind also wie eine Plastik beidseitig anschaubar.
Und das bedeutet doch, dass die Bildelemente letztlich räumlich sind, anziehbar, bestimmt durch einen auf den Körper bezogenen Schnitt – und also eigentlich von einem plastischen menschlichen Körper ihre Form bekommen.
Dass dem so ist, sieht man an den Erdspuren an Füßen, Händen und Knien.
Aber die Aktion mit den Kleidern, das war einmal:
Nun sind die Körperteile in einen Ruhezustand versetzt – nicht wie Kleidung in einem Schrank, sondern als Bilder, die nur und erst wieder in unserem Kopf lebendig und tätig werden.
Borys Mysakovych
zeigt mit seinen gefüllten Kunststofftragetaschen ein Bild seiner Flucht aus der Ukraine. Aber die Objektassemblage geht weit über diesen Anlass hinaus.
Solche Taschen, prall gefüllt mit persönlichem und persönlichstem Besitz, sind wie eine Quantelung unseres Lebens, unserer Biografie.
Man kann sagen, dass Jeder und Jede von uns solche Taschen in Gedanken mit sich herumträgt.
Bezogen auf die Kraft unseres Körpers sind wenige Taschen so etwas wie das Gepäck, welches uns durch unser Leben begleitet.
Dagegen sind viele Taschen Depots, die wie Schränke in unserem Zuhause sind – oder die wir zurücklassen und vielleicht verstecken, um sie später wieder aufzusuchen.
Sie sind also Bilder unseres Lebens – von der Geburt, bei der wir die erste Tasche bekommen, bis zum Tod, der uns selbst als Depot der Erde übergibt.
Ronja Richter
Bei Ronja Richter spielt der gemalte Rahmen innerhalb ihrer Bilder oft eine große Rolle. Manchmal ist dieser Rahmen versteckt oder fragmentiert, aber zumeist ist er da.
Ein Rahmen ist mit dem, was man Ornament nennt, verknüpft – und Ornament als Gattung der Kunst vermittelt das Bild an die Architektur.
Somit greift Ronja Richter etwas auf, das die Kunst Jahrhunderte zusammenhielt und erst in der Moderne verschwand – oder besser: versteckt wurde.
Bild und Ornament schieben sich in ihren Bildern ineinander und verschränken sich.
Aber zum Bildrand hin verwandelt sich das Bild stets in ein Muster auf Grund – also zu Ornament.
Die gegenständlich erkennbaren Bildteile sind dabei mit einer überraschend klaren und einfachen Malweise realisiert, die in ihren Kernteilen Verzerrung und Verzeichnung vermeidet. Kurz: im bildhaften Teil ihrer Bilder, weiß Ronja Richter ganz genau, was sie zeigen will.
Monika Salmanyan
malt Architekturruinen, die aber kaum statisch auf der Erde stehen, sondern als geometrische Muster die Bildfläche strukturieren.
Die Fußböden, die intakten oder ruinierten Wände und die Durchblicke nach draußen liefern dann die Orte, auf denen Abbilder von Pflanzen, Waschbecken, Toiletten, Pianos, Graffiti usw. erscheinen.
Dies sind nahezu Bühnenbilder unserer Vorstellungskraft, die uns Betrachter*innen auffordern, das Stück zu erfinden, zu imaginieren oder zu erinnern, das wir in diesen Räumen – sprich: auf diesen Flächen – für uns aufführen.
Die wenigen Gegenstände in Salmanyans Bildern sind wie Angelköder für die Fantasie, um diese und unsere Erinnerungen auf die im Bild dafür freigehaltenen leeren Stellen zu locken.
Tabea Wasserfall
malt Bilder, auf denen schäumendes Wasser in wildem Aufruhr zu sehen ist.
Das Wasser kann so nie von uns gesehen werden, da es sich so schnell bewegt, dass wir nur den Vorgang, aber nicht die Form wahrnehmen können.
Erst ein Foto lässt uns – wie durch ein Zeitmikroskop – die Form des Wassers erkennen.
Tabea Wasserfall malt es aber so weiß, dass wir es kaum als Wasser erkennen, sondern eher als eine weiße, sich auftürmende Masse.
Obwohl wir jedes Detail fotografisch genau erkennen, stehen wir vor informellen, abstrakten Malereien – denn das weiße Wasser wird zum Synonym für bewegtes Farbmaterial, das in die Bildfläche hineintost.
Oder sind das gar sich aufbauende Skulpturen – aus welchem Material auch immer –, die sich in den Bildraum ausdehnen?
So erkennbar und unmittelbar anwesend das gemalte Wasser ist – wir sehen es nur in einem kurzen Augenblick, in einem fotografischen Stillstand.
Wäre dies ein Video und kein Bild und liefe der Film weiter, dann wäre gleich etwas anderes zu sehen, und wieder etwas anderes – und bald nichts mehr.
Diese Bilder handeln also im Kern von den Gefährdungen, denen die heutige Malerei von vielen Seiten ausgesetzt ist.
Katharina Wilhelm
Eine ähnliche Problematik erscheint in den Arbeiten von Katharina Wilhelm.
Nachdem in der Moderne die Kunst zu einem Ausstellungsstück in Galerieräumen reduziert wurde – und in der Folge die meisten Bilder auch ihren Bilderrahmen verloren haben –, haben nun bei Katharina Wilhelm die Leinwände auch noch ihren rückwärtigen Keilrahmen verloren.
Die Gemälde hängen nun wie „gehäutete“ Bilder an der Wand
und zeigen, dass nun die Leinwand nur noch der technisch notwendige Träger für das Farbmaterial und die Farberscheinung ist.
Konsequent sind deshalb Wilhelms Motive:
Landschaft, Wolken, Nebel, Dämmerung und Licht – also alles Dinge, die wir sehen, aber nicht körperlich anfassen können.
Es ist schon spannend, wie die Malerei hier auf das notwendigste Minimum reduziert wird – nämlich allein auf das Farbmaterial und seine visuelle Wirkung.

Salwa Wittwer
Salwa Wittwer schreibt: „In meiner künstlerischen Suche nach zugänglichen und lebensnahen Motiven verwandle ich gesellschaftliche Themen in private Szenen, um den Betrachtenden ein wertfreies Zwiegespräch zu ermöglichen.“
Da in der Malerei alles, auch jedes Detail, von Hand gemalt werden muss, kann man davon ausgehen, dass alles von ihr Gemalte der Malerin auch wichtig ist.
Gelungenes Malen ist im Grunde so etwas wie ein unentwegtes Unterstreichen und Herausstellen von Sichtbarem.
Und Salwa Wittwer ist ihr „Leben im Alltag“ wichtig.
Wir sehen gemeinsames Essen, vertraute Zweisamkeiten, gesellschaftliche Anlässe und Szenen, in denen Erotik eine Rolle spielt.
Die Motive sind mit einer vereinfachenden Malweise wiedergegeben – genau so, dass alles, und das Gemeinte besonders gut, zu sehen ist.
Aber wir sehen nicht nur den glücklichen Alltag:
Das nackte Paar wird links und rechts von Monstern bedroht – ob die lustig oder böse sind, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden.
Das Pizzamesser weist auf das Pärchen hin; die Tischgenoss*innen schauen oft trübsinnig oder böse.

Ich habe nun das Kaleidoskop dieser Ausstellung schnell und verknappt durch zehn Positionen hindurchlaufen lassen.
Es ist nun an Ihnen, die Werke mit Ihren Augen, mit Ihrer Empfindsamkeit aufzunehmen.
Ich hoffe, Sie tun dies mit guter Laune.